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BESTANDSERHALTUNGSMIGRATION: EINE LÖSUNG FÜR ABNEHMENDE UND ALTERNDE BEVÖLKERUNG ?


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Vereinte Nationen – Abteilung Bevölkerungsfragen, Bestandserhaltungsmigration

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Abteilung Bevölkerungsfragen

Vereinte Nationen

BESTANDSERHALTUNGSMIGRATION: EINE LÖSUNG FÜR ABNEHMENDE

UND ALTERNDE BEVÖLKERUNGEN?

ZUSAMMENFASSUNG

Die Abteilung Bevölkerungsfragen der Vereinten Nationen verfolgt die Fruchtbarkeits-,

Sterblichkeits- und Migrationstrends für alle Länder der Welt und erstellt auf dieser Grundlage

die offiziellen Schätzungen und Prognosen der Vereinten Nationen zur Bevölkerungsent-

wicklung. Zwei der demografischen Trends, die diese Zahlen aufzeigen, springen dabei besonders

ins Auge: der Bevölkerungsrückgang und die Bevölkerungsalterung.

Die vorliegende Studie konzentriert sich auf diese beiden auffälligen, kritischen Trends

und befasst sich mit der Frage, ob Bestandserhaltungsmigration eine Lösung für den Rückgang

und die Alterung der Bevölkerung darstellt. Der Begriff "Bestandserhaltungsmigration" bezieht

sich auf die Zuwanderung aus dem Ausland, die benötigt wird, um den Bevölkerungsrückgang,

das Schrumpfen der Erwerbsfähigenbevölkerung sowie die allgemeine Überalterung der Bevölke-

rung auszugleichen.

Im Rahmen der Studie wurden für eine Reihe von Ländern, deren Fruchtbarkeitsziffern

allesamt unter dem Bestandserhaltungsniveau liegen, die Höhe der zur Bestandserhaltung erfor-

derlichen Zuwanderung errechnet und die möglichen Auswirkungen dieser Zuwanderung auf den

Umfang und die Altersstruktur der Bevölkerung untersucht. Die acht untersuchten Länder sind

Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, die Republik Korea, die Russische Föde-

ration und die Vereinigten Staaten. Ebenfalls untersucht wurden zwei Regionen: Europa und die

Europäische Union. Der untersuchte Zeitraum erstreckt sich ungefähr über ein halbes Jahrhun-

dert, von 1995 bis 2050.

Nach der mittleren Variante der Bevölkerungsprognosen der Vereinten Nationen wird die

Bevölkerung Japans und praktisch aller Länder Europas im Laufe der nächsten 50 Jahre

schrumpfen. So wird beispielsweise die Einwohnerzahl Italiens von derzeit 57 Millionen Men-

schen auf voraussichtlich 41 Millionen im Jahr 2050 sinken. Für die Russische Föderation wird

von 2000 bis 2050 ein Rückgang von 147 Millionen auf 121 Millionen erwartet. Ebenso wird die

Bevölkerung Japans von derzeit 127 Millionen bis 2050 auf voraussichtlich 105 Millionen zu-

rückgehen.

Zusätzlich zu dem Rückgang ihrer Bevölkerungen unterliegen Japan und die Länder

Europas einem verhältnismäßig raschen Alterungsprozess. So wird sich beispielsweise das

Medianalter der Bevölkerung Japans in den nächsten 50 Jahren voraussichtlich um acht Jahre von

41 auf 49 Lebensjahre erhöhen. Darüber hinaus wird der Bevölkerungsanteil der 65-jährigen oder

älteren Japaner von derzeit 17 Prozent auf voraussichtlich 32 Prozent ansteigen. Gleichermaßen

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wird das Medianalter der italienischen Bevölkerung von 41 auf 53 Lebensjahre steigen und der

Bevölkerungsanteil der 65-jährigen oder Älteren von 18 Prozent auf 35 Prozent anwachsen.

Aufbauend auf diesen Schätzungen und Prognosen werden in der vorliegenden Studie

fünf verschiedene Szenarien hinsichtlich der internationalen Wanderungsströme entworfen, deren

es bedarf, um in den genannten acht Ländern und zwei Regionen bestimmte Bevölkerungsziele

oder -resultate zu erreichen. Es handelt sich hierbei um die folgenden fünf Szenarien:

Szenario I.

Die mittlere Variante der Vorausschätzungen aus den World Population

Prospects: 1998 Revision (Weltbevölkerungsprognosen: Revision 1998) der Ver-

einten Nationen.

Szenario II.

Die mittlere Variante der 1998 Revision, modifiziert durch die Annahme einer

"Nullwanderung" nach 1995.

Szenario III. Bei diesem Szenario wird die Migration kalkuliert und unterstellt, die erforder-

lich ist, um die Gesamtbevölkerung auf dem höchsten Stand zu erhalten, den sie

ohne Migration nach 1995 erreichen würde.

Szenario IV. Bei diesem Szenario wird die Migration kalkuliert und unterstellt, die erforder-

lich ist, um die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (15 bis 64 Jahre) auf dem

höchsten Stand zu erhalten, den sie ohne Migration nach 1995 erreichen würde.

Szenario V.

Bei diesem Szenario wird die Migration kalkuliert und unterstellt, die erforder-

lich ist, um das "potenzielle Unterstützungsverhältnis", d. h. das Verhältnis zwi-

schen der Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter (15 bis 64 Jahre) und der

Zahl der Senioren (65 Jahre oder älter), auf dem höchsten Stand zu erhalten, den

es ohne Migration nach 1995 erreichen würde.

Die Gesamtzahlen und die jährlichen Durchschnittszahlen der Migranten für den Zeit-

raum 2000-2050 sind in Tabelle 1 für jedes Szenario aufgeführt. Szenario I zeigt die Zahl der

Migranten, die bei der mittleren Variante der VN-Prognosen für die acht Länder und zwei Regio-

nen angenommen werden. So liegt zum Beispiel die Zahl der Menschen, die insgesamt im Zeit-

raum von 50 Jahren in die Vereinigten Staaten einwandern, bei 38 Millionen und im jährlichen

Durchschnitt bei 760.000. In Szenario II wird eine Nullwanderung für den gesamten Zeitraum

unterstellt; die sich daraus ergebenden Bevölkerungszahlen und Altersstrukturen sind im Text des

Berichts angegeben.

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Mit Ausnahme der Vereinigten Staaten ist die Zahl der Einwanderer, die erforderlich ist,

um den Bestand der Gesamtbevölkerung zu erhalten (Szenario III), beträchtlich höher als die bei

der mittleren Variante der VN-Prognosen angenommene Zahl (Szenario I). In Italien zum Bei-

spiel beträgt die Gesamtzahl der Einwanderer nach Szenario III 12,6 Millionen (bzw. 251.000 pro

Jahr) gegenüber 0,3 Millionen (bzw. 6.000 pro Jahr) nach Szenario I. Für die Europäische Union

liegen die entsprechenden Zahlen bei 47 Millionen gegenüber 13 Millionen (bzw. 949.000 pro

Jahr gegenüber 270.000 pro Jahr).

In Szenario IV, das darauf abzielt, die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (15 bis 64

Jahre) konstant zu halten, ist die Zahl der Einwanderer sogar noch höher als in Szenario III. So

läge beispielsweise in Deutschland die Gesamtzahl der Einwanderer nach Szenario IV bei 24

Millionen (bzw. 487.000 pro Jahr) gegenüber 17 Millionen (bzw. 344.000 pro Jahr) nach

Szenario III.

Abbildung 1 zeigt einen standardisierten Vergleich der Zuwanderungsströme pro Million

Einwohner (Stand: 2000). Aus diesem Vergleich geht hervor, dass im Verhältnis zur Landesgröße

die Zahl der Einwanderer, die im Zeitraum 2000-2050 pro Jahr benötigt wird, um den Bestand

der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter zu erhalten (Szenario IV), mit 6.500 Einwanderern auf

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1 Million Einwohner in Italien am höchsten ist, gefolgt von Deutschland mit 6.000 Einwanderern

pro Jahr auf 1 Million Einwohner. Von den in diesem Bericht untersuchten Ländern und

Regionen benötigten die Vereinigten Staaten mit etwa 1.300 Einwanderern auf 1 Million

Einwohner die geringste Zahl von Einwanderern, um einen Rückgang ihrer Bevölkerung im

erwerbsfähigen Alter zu verhindern.

Die Zahlen in Szenario V, das auf die Konstanthaltung des potenziellen Unterstützungs-

verhältnisses gerichtet ist, sind außerordentlich hoch. Für Japan beträgt zum Beispiel die Gesamt-

zahl der Einwanderer nach Szenario V 524 Millionen (bzw. 10,5 Millionen pro Jahr). Für die Eu-

ropäische Union liegt diese Zahl bei 674 Millionen (bzw. 13 Millionen pro Jahr).

 

[Abbildung V leider unvollständig und daher nicht abgebildet]

 

Die wichtigsten Erkenntnisse der Studie:

• In der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts dürfte die Bevölkerung in den meisten Industrie-

staaten auf Grund von unterhalb der Bestandserhaltung liegenden Fruchtbarkeitsraten und

steigender Lebenserwartung zurückgehen.

• Ohne Zuwanderung wird die Bevölkerung noch drastischer zurückgehen und noch

rascher altern als nach den bisherigen Prognosen.

• Obwohl die Fruchtbarkeitsrate in den nächsten Jahrzehnten durchaus wieder ansteigen

könnte, glauben nur wenige Experten, dass sie ein Niveau erreichen wird, das in den

meisten Industriestaaten in absehbarer Zukunft den Bevölkerungsbestand sichern kann.

Daher wird ohne Bestandserhaltungsmigration ein Rückgang der Bevölkerung un-

vermeidlich sein.

• Der prognostizierte Bevölkerungsrückgang und -alterungsprozess wird tiefgreifende und

weitreichende Folgen haben und die Regierungen zwingen, zahlreiche überkommene

Maßnahmen und Programme im wirtschaftlichen, sozialen und politischen Bereich, so

auch soweit sie die Zuwanderung aus dem Ausland betreffen, neu zu bewerten.

• Für Frankreich, Großbritannien, die Vereinigten Staaten und die Europäische Union ist

die Zahl der Einwanderer, die erforderlich ist, um den Bevölkerungsrückgang auszuglei-

chen, geringer oder etwa gleich wie die Zuwanderungsströme der jüngeren Vergangen-

heit. Zwar trifft dies auch auf Deutschland und die Russische Föderation zu, aber die Zu-

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wanderungsströme waren in den neunziger Jahren auf Grund der Wiedervereinigung be-

ziehungsweise der Auflösung der Sowjetunion verhältnismäßig groß.

• Italien, Japan, die Republik Korea und Europa bräuchten viel mehr Zuwanderer als in den

letzten Jahren, um den Bevölkerungsrückgang auszugleichen.

• Die Zahl der Einwanderer, die notwendig ist, um ein Schrumpfen der Bevölkerung im

erwerbsfähigen Alter auszugleichen, übersteigt diejenige, die einen Rückgang der

Gesamtbevölkerung ausgleichen würde, um ein Erhebliches. Ob solche höheren

Einwanderungszahlen zu den Optionen gehören, die den Regierungen zur Verfügung

stehen, hängt zum großen Teil von den sozialen, wirtschaftlichen und politischen

Verhältnissen des jeweiligen Landes beziehungsweise der jeweiligen Region ab.

• Sollte das Pensionsalter im Wesentlichen auf dem heutigen Stand bleiben, ist eine Erhö-

hung der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter mittels Zuwanderung aus dem Ausland

kurz- bis mittelfristig die einzige Option, durch die sich eine Schwächung des

potenziellen Unterstützungsverhältnisses abfangen ließe.

• Die Wanderungsströme, die notwendig wären, um die Bevölkerungsalterung auszuglei-

chen (d. h. um das potenzielle Unterstützungsverhältnis aufrechtzuerhalten) sind extrem

groß, und es müssten in allen Fällen weitaus höhere Einwanderungszahlen als in der Ver-

gangenheit erreicht werden.

• Das potenzielle Unterstützungsverhältnis allein durch Bestandserhaltungsmigration auf

dem derzeitigen Niveau zu halten, erscheint unerreichbar, da es dafür außerordentlich

hoher Einwanderungszahlen bedarf.

• In den meisten Fällen könnte das potenzielle Unterstützungsverhältnis auf dem derzeiti-

gen Niveau gehalten werden, wenn die Obergrenze der Bevölkerung im erwerbsfähigen

Alter auf etwa 75 Jahre angehoben würde.

• Die neuen Herausforderungen, die durch eine schrumpfende und alternde Bevölkerung

entstehen, werden objektive, eingehende und umfassende Neubewertungen zahlreicher

überkommener Maßnahmen und Programme im wirtschaftlichen, sozialen und politi-

schen Bereich erfordern. Solche Neubewertungen bedürfen einer langfristigen Perspek-

tive. Zu den kritischen Fragen, die angegangen werden müssen, gehören: a) das geeignete

Ruhestandsalter, b) Höhe und Art der Renten- und Krankenversicherungsleistungen für

die ältere Generation, c) die Zahl der Erwerbstätigen, d) die Höhe der Arbeitnehmer- und

Arbeitgeberbeiträge zur Deckung der Renten- und Krankenversicherungsleistungen für

die wachsende Zahl älterer Menschen und e) Maßnahmen und Programme im

Zusammenhang mit der internationalen Wanderung, insbesondere der Bestands-

erhaltungsmigration, und der Eingliederung einer großen Zahl neuer Einwanderer und

ihrer Nachkommen.

 

 

 

Quelle:

https://www.un.org/esa/population/publications/migration/execsumGerman.pdf